publiziert 21/08/2011 at 17:35 Uhr von Sebastian Hammelehle
Herrenmenschen im Luxushotel, Winston Churchill - und dann auch noch Coco Chanel als Agentin in Hitlers Diensten! Was sich liest wie ein Plot von Quentin Tarantino, ist Stoff einer neuen Skandalbiografie: War die
Schöpferin des "kleinen Schwarzen" etwa eine kleine Braune?
Strenge Verhöre, Wochen in einer Zelle ohne Licht - nach Kriegsende 1945 befragte der britische Auslandsgeheimdienst MI6 Walter Schellenberg, SS-Brigadeführer und Spionagechef der Nazis. Schellenberg berichtete den Briten von einem Plan, der, seinem drolligen Codenamen "Modellhut" zum Trotz, dem Krieg
eine Wendung hätte geben können, die sich aus heutiger Sicht anhört, als wären Quentin Tarantinos Film "Inglourious Basterds" und Robert Harris' Roman "Fatherland" zu einem neuen irren Plot
verquirlt worden. Bestandteile: Promiske Nazis, aberwitzige Hoffnungen auf höchster Ebene, der britische Kriegspremier und die berühmteste Modeschöpferin Frankreichs.
1944, so Schellenberg, sei er von der "Existenz einer gewissen Frau Chanel unterrichtet worden. Diese Frau wurde in einer Weise beschrieben, dass sie Churchill hinreichend gut kenne, um Verhandlungen mit ihm aufzunehmen." Das Ziel: Ein Separatfrieden zwischen
Deutschland und Großbritannien - nach der Niederlage der Wehrmacht in Stalingrad und wenige Monate vor der Landung der Amerikaner in der Normandie ein geradezu rührend naives Unterfangen.
Schellenberg nahm das Angebot ernst, die "gewisse Frau Chanel" reiste nach Madrid und übergab dem dortigen britischen Botschafter, mit dem sie befreundet war, einen
recht vage formulierten Brief an Winston Churchill. Der Premier sollte ihn nicht rechtzeitig empfangen. Er
hielt sich nicht in London auf, sondern hütete in Tunesien mit 39 Grad Fieber und Lungenentzündung das Krankenbett.
Coco Chanel Anfang der Sechziger: Comeback im Nachkriegsfrankreich
"Meisterspion der deutschen Abwehr"
Schellenbergs Aussagen sind aktenkundig; der Plan einiger NS-Größen, über Coco Chanel in Verhandlungen mit Churchill zu treten, ist bekannt - schon im Jahr 1974 erwähnte der erste Chanel-Biograf die "Operation Modellhut". Keiner aber hat bislang Chanels Kollaboration mit den Nazis so zugespitzt dargestellt wie Hal Vaughan, ein sich gediegen gebender, mit
der eigenen Vergangenheit als CIA-Mitarbeiter kokettierender, in Paris lebender amerikanischer Journalist. "Coco Chanel - Der schwarze Engel. Ein Leben als Nazi-Agentin" heißt, denkbar reißerisch betitelt, sein Buch,
das nun auf deutsch und fast gleichzeitig im amerikanischen Original erschienen ist.
War ausgerechnet die zierliche Erfinderin des "kleinen Schwarzen", von Charles de Gaulles Kulturminister
Malraux einst zum Inbegriff französischer Kultur des 20. Jahrhunderts erhoben, in Wahrheit selbst eher eine kleine Braune, die während der deutschen Besetzung Frankreichs von 1940 bis 1944 so
explizit mit Wehrmachts- und SS-Offizieren kollaborierte, wie kaum eine andere prominente Französin?
Im Zentrum von Vaughans Buch steht, wir befinden uns schließlich in einem nicht vollkommen klischeefrei geschilderten Frankreich, weniger das Politische als das Private: Die Liebesaffäre Coco Chanels mit Hans Günther von Dincklage, einem schillernden "Meisterspion der deutschen Abwehr", von Goebbels persönlich zum Sonderattaché der deutschen Botschaft in Paris befördert und ungeachtet seiner stattlichen
Figur und seines guten Aussehens verniedlichend "Spatz" genannt. Die bekannte Schriftstellerin Sybille Bedford, Schwester von Dincklages englischer Frau Catsy, schilderte ihn noch Jahrzehnte später mit den Worten: "Spatz Dincklages Charme wirkte ungezwungen. Seine Schönheit sprach Männer wie Frauen an" - wohl auch Coco Chanel.
Deutsche Truppen auf den Champs Elysees 1943: Entbehrungen und Erniedrungen für die Mehrheit der Pariser
Codename "Westminster"
Mit 57 Jahren verliebte sich die Modemacherin 1940 in Dincklage. Er verschaffte ihr das Privileg,
zwei Zimmer im Ritz zu bewohnen, dem Luxushotel, das während der Okkupation von Paris nahezu ausschließlich von der Nazi-Elite belegt war. Im Winter 1940/41 machte Dincklage Chanel schließlich mit dem für die deutsche Abwehr arbeitenden Agenten Baron Louis de Vaufreland, bekannt;
1941 verzeichnete die Abwehr Chanel selbst unter ihrem bürgerlichen Vornamen Gabrielle in ihrer
Berliner Registratur als Agentin F-7124, Codename "Westminster", eine Anspielung auf einen ihrer früheren Liebhaber: Hugh Grosvenor, den Duke oft Westminster.
Vaughan präsentiert in seinem Buch Chanels Geheimdienst-Karteikarte (die sie allerdings nicht
unterschrieben hat), ebenso wie ein mögliches Motiv, mit den Deutschen zusammenzuarbeiten: Sie habe sowohl einen internierten Neffen aus dem Nazi-Straflager retten, als auch die volle Kontrolle
über die Produktionsfirma ihres Parfüms "Chanel No. 5" wiedergewinnen wollen. Chanel selbst hat bei einem Verhör 1946 die Anschuldigen, für die Besatzer gearbeitet zu haben, als
"Hirngespinste" bezeichnet. Angeblich war es Churchill höchstpersönlich, der dafür sorgte, dass Chanel nach kurzer Zeit freigelassen wurde, als sie nach der Befreiung von Paris 1944 von Kämpfern von de
Gaulles provisorischer Regierung zum Verhör abgeführt wurde.
Nach einigen Jahren erlebte sie mit ihren Kollektionen ein strahlendes Comeback und avancierte zum Inbegriff geradezu staatstragender Haute Couture - spätestens als die Frau des französischen
Präsidenten Pompidou sich bevorzugt in ihren Modellen zeigte. Die Vorwürfe, Chanel habe mit den Nazis zusammengearbeitet, wurden erst nach ihrem Tod im Januar 1971 wieder öffentlich
geäußert und später immer wieder in Biografien und Zeitungsartikeln aufgegriffen - bis hin zu einem Text von John Updike im "New Yorker": "Alle verfügbaren Beweise", so der Schriftsteller,
deuteten darauf hin, dass es "Chanel völlig gleichgültig war, welches Schicksal ihren jüdischen
Nachbarn drohte oder welche - wenngleich weniger dramatischen - Entbehrungen und Erniedrigungen die große Mehrheit der Pariser erdulden musste." Chanels Antisemitismus ist altbekannt und wurde schon vor Jahrzehnten von einem Biografen festgehalten: "Ich
fürchte nur die Juden und die Chinesen; die Juden aber noch mehr als die Chinesen", sagte sie in den sechziger Jahren.
Niemand, auch nicht Vaughan, allerdings hat es bislang geschafft, Beweise dafür zu liefern, dass Chanel es nicht nur genoss, sich von den Nazis hofieren zu lassen, oder, wie es für Luxusartikelhersteller
heute noch oft selbstverständlich ist, die Nähe auch von verbrecherischen Mächtigen zu suchen - sondern dass sie tatsächlich Anhängerin Hitlers gewesen ist.
Da wirkt es fast unfreiwillig komisch, wenn das Modehaus Chanel auf die Veröffentlichung von Vaughans
Buch in einer Stellungnahme nun mit dem abgedroschensten aller Verteidigungsargumente aufwartet: Choco
Chanel eine Antisemitin - wieso? Viele ihrer Freunde waren doch Juden.
Und ein paar andere, möchte man hinzufügen, waren Nazis.
Deutsche Soldaten beim Blick über das besiegte Paris: Die Nazi-Elite residierte im Ritz
Chanel-Parfüm No. 5: Nazi-Kollaboration, um die Kontrolle über die Parfümproduktion zurück zu gewinnen?
Biograf Hal Vaughan: Chanels Kollaboration zugespitzt dargestellt
Buchtipp
Hal Vaughan : Coco Chanel -
Der schwarze Engel - Ein Leben als Nazi-Agentin. Übersetzt von Bernhard Jendricke, Gerlinde Schermer-Rauwolf, Robert A. Weiß. Hoffmann und Campe; 384 Seiten; 22,99 Euro.