Der Arbeiterbewegung fühlte sich die heute 96-jährige Katharina Weritz schon als Kind verbunden. Sie würde auch heute noch gern mitmarschieren.
Als Kind bastelte sie rote Papiernelken, als junge Frau leistete sie bei der BBU Männerarbeit: Dass die Arbeiterbewegung für Kathrina Weritz große Bedeutung hat, ist klar.
"Wir hatten damals nichts Vernünftiges zum Anziehen und Essen. Morgens und abends gab es Sterz, mittags Erdäpfel", erinnert sich Katharina Weritz, die am 6. Mai 97 Jahre alt wird, an ihre Kindheit in den 1920er Jahren. Für das kleine Mädchen in Kreuth bei Bleiberg war eine Semmel der Inbegriff von Luxus: "Der Fina-Bäck hat bei Todesfällen den Trauernden ein Netz voll Semmeln geschenkt. Ich dachte: Wie schön wäre es, wenn bei uns einmal jemand sterben würde."
Ihr Vater war Bergmann bei der BBU und musste acht Kinder ernähren. "Eigentlich wären wir 17 gewesen, aber die Schwachen sind früh gestorben."
Kathis größte Freude war der 1. Mai. "Der schönste Tag im Jahr. Vorher haben wir in der Schule rote Papiernelken gebastelt und sie billig verkauft", erzählt sie. Natürlich nicht für sich, sondern für die Roten Falken und den Schutzbund. Als Jugendliche fertigte sie Transparente mit Parolen, die sie stolz trug. Seit damals ist sie der Arbeiterbewegung verbunden. Es traf sie hart, als Bundeskanzler Dollfuß 1933 den Schutzbund auflöste und im Februar 1934 mit Panzern auf Arbeiter schießen ließ. "Mein Vater sagte: ,Das Mandl jagen wir mit einem nassen Fetzen davon.' Leider hat er sich getäuscht."
Ihre Brüder, ihr späterer Mann und sie gaben nicht klein bei. Am 1. Mai 1934 marschierte Katharina trotz Verbot in vorderster Reihe mit. "Wir sind mit Musik auf die Heimwehr und ihre aufgepflanzten Bajonetten zugegangen. Sie konnten uns nicht aufhalten." Da leuchten ihre Augen. Monate später wurden sie alle wegen der Herstellung von Flugzetteln mit illegalen Parolen verhaftet. "Meinen Vater, meine Schwägerin und mich haben sie um vier Uhr früh als Letzte geholt. In den zwölfstündigen Verhören haben wir immer wieder gesagt, dass wir von nichts wissen." Getreu des Familienrezepts: "Sagst du Ja, bleibst du da, sagst du Nein, gehst du heim." Bis zum Heimgehen musste sie aber noch drei Monate warten - im Gefängnis.
"Fürchterliche Zeit"
Die Zeit war "fürchterlich. Viele Arbeitslose, nichts zu essen." Sie hatte Glück und ergatterte einen Job im Bergwerk. Glück? Jede Woche 48 Stunden knochenharte Männerarbeit unter erschwerten Bedingungen: "In Winternächten froren uns die Zehen an den Holzzockeln fest und bei Schnee kamen wir durchnässt zur Arbeit." Sie schuftete mit Schwester Anna an großen Maschinen, und wenn ein Lastenträger ausfiel, sprang sie ein. "Dann bekam ich ein paar Groschen mehr. Ich habe 12 Schilling verdient, sechs Schilling für Kost, blieben sechs für mich. Ein Wintermantel kostete 36 Schilling." Als ihre Tochter zur Welt kam, gab sie die Schinderei auf. Später folgte ein Sohn.
Mit Nationalsozialisten hatte sie nichts am Hut. "Das Denunziantentum war furchtbar. Man konnte niemandem trauen." Ihr Bruder Johann war zweieinhalb Jahre im KZ Dachau, weil er einen ausländischen Sender gehört hatte; ihren Cousin Josef schickte die Gestapo in eine Strafkompanie: "Als ihn Bekannte mit ,Heil Hitler' grüßten, meinte er, Hitler müsse man wirklich heilen." Berichte, Hitler hätte die Arbeitslosigkeit beseitigt, ärgern sie: "Der hat die Männer eingezogen oder eingesperrt und sie dann verrecken lassen und wir Frauen mussten die Männerarbeit leisten."
Auch diese Zeit ging vorüber und nach dem Krieg konnte sie endlich wieder ihren heiß geliebten 1. Mai feiern, den immer noch schönsten Tag im Jahr. Mit Paul, den sie 1938 geheiratet hatte und mit dem sie 2008 Gnadenhochzeit feierte, zog sie nach 1945 nach Weissenstein, wo er von 1962 bis 1982 Bürgermeister war. Bedauernd sahen sie, wie der 1. Mai an Bedeutung verlor. Ihre Erklärung: "Die Politiker kassieren zu viel, die haben sich zu sehr von den Arbeitern entfernt."
Vor zwei Jahren starb ihr Mann und mit ihm ihre Lebensfreude. Dank ihrer Betreuerin, die sie täglich besucht, kam die Freude zurück und mit ihr ein neues Ziel. "Meine Lebenskerze ist nur mehr ein Stumperl, aber ich habe zum Herrgott gebetet, dass er mir noch drei Jahre schenkt. Dann werde ich 100 und die Betreuerin 50. Das wollen wir feiern."
Was macht sie heute am 1. Mai? "Ich bleib daheim. Aber ganz ehrlich: "Ich würde am liebsten noch immer mitmarschieren."