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Die Geschichte eines Lebensborn-Kindes

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Sternpubliziert 13/09/2007 at 07:50 Uhr von Kerstin Schneider

Um die Lebensborn-Heime der Nazis ranken sich viele Gerüchte. Sollten dort Arier wie Tiere gezüchtet werden? Ein Buch beschreibt nun die Geschichte eines Mädchens, das in einem Lebensborn-Heim zur Welt kam - und an dem bis in die Nachkriegszeit hinein ein Makel haftete.



Hellwig Weger

Mit Heinrich Himmler ging sie als kind Hand in Hand spazieren : Heilwig Weger

 

Das Leben von Heilwig Weger beginnt mit einem Geheimnis. 1937 zieht ihre Mutter Eleonore von Brüning ins bayerische Lebensborn-Heim Steinhöring, um dort heimlich ihr uneheliches Kind zur Welt zu bringen. Der Vater des Kindes ist verheiratet. Eine Schande, die verborgen bleiben muss. Doch schon bald scheint sich das Blatt für die werdende Mutter zu wenden.

Kurz vor der Geburt, am zweiten Weihnachtsfeiertag 1937, besucht Heinrich Himmler, "Reichsführer SS" und zweitmächtigster Mann im NS-Staat, das Lebensborn-Heim. Himmler, der Lebensborn gründete, verstand sich als oberster Schirmherr. In den Heimen des Vereins, der von der SS getragen und staatlich gefördert wurde, konnten ausgewählte Frauen "guten Blutes" mit "Erbgesundheitszeugnis" heimlich entbinden. Ziel war die Ankurbelung der Kinderproduktion zur Rettung der "nordischen Rasse".

Blumen von Himmler

Eleonore von Brüning, eine große, schlanke, blonde Frau mit ebenmäßigen Zügen, die das Idealbild der "nordischen Rasse" zu verkörpern scheint, fällt Himmler auf. Er spricht sie an, plaudert mit ihr. Und als sie Anfang 1938 Heilwig zur Welt bringt - das Mädchen ist das größte und schwerste Kind, das bislang im Heim geboren wurde - schickt Himmler der Mutter einen Blumenstrauß. Er bittet Eleonore von Brüning, ihn über die Entwicklung ihrer Tochter auf dem Laufenden zu halten. Die Mutter verspürt zum ersten Mal "so etwas wie Stolz" auf ihr uneheliches Kind.

Fortan spielt Himmler eine wichtige Rolle im Leben der Eleonore von Brüning. Der SS-Chef verkuppelt sie mit seinem Vertrauten, dem SS-General Oswald Pohl, Leiter des SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamtes. Die beiden heiraten. Pohl adoptiert Eleonores Tochter Heilwig, das Lebensborn-Kind L 364.

"Vati" Oswald Pohl

Heilwig wächst in reicher Sorglosigkeit auf. Die Familie lebt auf dem SS-Gut Comthurey in Mecklenburg, lässt Häftlinge aus dem benachbarten Konzentrationslager Ravensbrück für sich schuften. Heilwig liebt ihren "Vati" Oswald Pohl. Himmler kommt zu Besuch, geht mit der kleinen Heilwig Hand in Hand spazieren.

Nach dem Krieg folgt der jähe Abstieg. Oswald Pohl, der maßgeblich am Holocaust beteiligt war, wird unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Tode verurteilt und 1951 gehängt. Heilwig, die beim Tod ihres Adoptivvaters 13 Jahre alt ist, lebt fortan mit dem Makel ein "Nazi-Kind" zu sein. Trotz guter Noten darf sie nicht aufs Gymnasium. Drei Rosenheimer Gymnasien lehnen sie ab. Die Direktoren wollen kein "Verbrecherkind" in ihrer Schülerschaft. Später hagelt es Absagen bei der Stellensuche, sobald der Name Pohl fällt. Es tue ihm leid, winkt ein Personalchef ab. Heilwigs "familiärer Hintergrund" passe nicht "in seinen Betrieb".

Ein Makel bis in die Gegenwart

So lernt Heilwig Weger, zu schweigen. Sie heiratet, wird Mutter und erzählt ihren Kindern nichts über ihre Herkunft. Bis ihr erwachsener Sohn dahinter kommt, dass der Ehemann seiner Großmutter der Kriegsverbrecher Oswald Pohl ist. Und ihre polnische Schwiegertochter ihr an den Kopf wirft, dass sie nicht möchte, dass ihr Sohn - also Heilwigs Enkelkind - "mit so einer verwandt" ist.

Endlich bricht Heilwig Weger ihr Schweigen, setzt sich mit ihrer Vergangenheit auseinander, liest Bücher über die NS-Zeit. Dabei stößt sie auf das Buch von Dorothee Schmitz-Köster "Deutsche Mutter, bist Du bereit..." über den Alltag im Lebensborn. Heilwig Weger schreibt der Autorin einen Brief, bittet sie, ihre Lebensgeschichte aufzuarbeiten. So entsteht das Buch "Kind L 364". Ein lesenswertes Buch, spannend erzählt. Dorothee Schmitz-Köster beschreibt nüchtern, aber eindrucksvoll, wie das Geheimnis um ihre Herkunft nicht nur das Leben von Heilwig Weger vergiftet, sondern seine unheilvolle Wirkung über Generationen entfaltet.

"Sie besaß kein menschliches Mitgefühl"

Dabei wahrt die Autorin eine feine Distanz zur Protagonistin, die ihr ihre Lebensgeschichte erzählt hat. Während sich Heilwig Weger nur daran erinnert, dass ihre Mutter Eleonore auf dem SS-Gut Comthurey "gnädige Frau" gespielt habe, zitiert Dorothee Schmitz-Köster den ehemaligen Häftling Emil Schütt mit den Worten: "Genau wie ihr Gatte besaß auch sie kein menschliches Mitgefühl für uns." Und auch dass ein ehemaliger Häftling Heilwig Weger Jahre später besucht und sie, wie schon in ihren Kindertagen "Sonnenscheinschen" nennt, lässt Schmitz-Köster ihrer Erzählerin nicht durchgehen.

"Diese Begegnung bestärkt Heilwig in dem Glauben, dass es den Häftlingen auf Comthurey gut ging... Dabei bestätigt dieser Besuch ... nur, wie viel sie (Heilwig) als Kind den Häftlingen bedeutet hat, die jahrelang entwürdigt und geschunden wurden", rückt Schmitz-Köster das Bild zurecht.

Heilwig Wegers Mutter Eleonore von Brüning nahm sich 1968 das Leben. Bis zum Schluss hielt sie Himmler für einen "gütigen Nothelfer", wollte die Gräueltaten der Nazis nicht wahrhaben.


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