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Der General, der seine Schuld bekannte

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Badische Zeitungpubliziert 03/12/2008 at 18:29 von Wolfram Wette

Eine Biografie über den Feldmarschall Friedrich Paulus, Oberbefehlshaber in Stalingrad und später von der DDR hofiert



Paulus Friedrich

Bei der Befragung durch die Sowjetarmee: Friedrich Paulus 1943

 

Mehr als 60 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges erfreut sich das Spitzenpersonal der Wehrmacht eines anhaltenden Interesses der Historiker. Das belegen die in den vergangenen Jahren veröffentlichten Biografien über Generalfeldmarschall Kesselring, Generaloberst Erich Fromm, General Walther von Seydlitz-Kurzbach sowie Generaloberst Ludwig Beck. Das Faszinosum dürfte primär die ungeheure Machtposition sein, welche diese Generäle seinerzeit innehatten. Waren sie doch Herren über Leben und Tod von Hunderttausenden von Soldaten.

Dies gilt in einer ganz besonderen Weise für Generalfeldmarschall Friedrich Paulus. Ihm widmet jetzt der Potsdamer Militärhistoriker Torsten Dietrich eine erste umfassende, gut lesbare Biografie. Paulus befehligte 1942/43 die 6. Armee im Kessel von Stalingrad. Die vernichtende Niederlage dieses Großverbandes bleibt für immer mit seinem Namen verbunden. Hatte er es doch in der Hand, in einer hoffnungslosen militärischen Lage seinem Gewissen zu folgen. Das hätte bedeutet, den Befehlen Hitlers und seiner Gehilfen im Oberkommando der Wehrmacht nicht Folge zu leisten und stattdessen einen Ausbruchsversuch aus dem Kessel zu wagen. Damit hätte er möglicherweise viele der ihm anvertrauten 260 000 Soldaten retten können.

Doch Paulus, der als ein grundanständiger, hochintelligenter, eher unpolitischer, entscheidungsschwacher, aber auch enorm geltungsbedürftiger Offizier geschildert wird, erwies sich als vollständig unfähig zu einer befehlswidrigen Handlung. Biograf Diedrich beschreibt ihn als "einen völlig gebrochenen Mann, (der) weder Herr der Lage noch seines Willens (war), zerbrochen an seiner Befehlstreue wider bessere Einsicht und voller Schuldgefühle gegenüber seinen Soldaten."

Nach dem für die Deutschen desaströsen Ende der Schlacht von Stalingrad kamen die etwa 90 000 Überlebenden in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Nur 5000 kehrten in die Heimat zurück. Die sowjetische Gewahrsamsmacht hofierte ihren ranghöchsten Gefangenen. Im Zuge einer quälenden Auseinandersetzung mit Stalingrad rang sich Paulus zu einer schwerwiegenden Entscheidung durch. Er schloss sich dem Nationalkomitee Freies Deutschland (NKFD) und dem Bund Deutscher Offiziere (BDO) an. In Aufrufen an die Soldaten wandte er sich gegen Hitler, was ihn in Kreisen der Wehrmachtsoffiziere zum Verräter machte.

1946 verschaffte die sowjetische Regierung Paulus die Gelegenheit, als Zeuge vor dem Nürnberger Militärtribunal aufzutreten. Während sich andere ehemalige Generäle die Legende von der "sauberen" Wehrmacht zu eigen gemacht hatten, bekannte er die deutsche Kriegsschuld gegenüber der Sowjetunion wie seine eigene Schuld. "Letztlich", schreibt sein Biograf, "kennzeichnete er den Krieg als einen der Eroberung zwecks Kolonisierung russischer Gebiete, auf die gestützt der Krieg im Westen gewonnen und die deutsche Herrschaft über Europa gesichert werden sollte." Neben Hitler nannte er Göring, Keitel und Jodl als Schuldige. Göring seinerseits beschimpfte Paulus als "dreckiges Schwein".

Auf sein persönliches Schuldkonto buchte Paulus zwei Vorgänge. Einmal die Tatsache, dass er sich an den Vorbereitungen zu diesem verbrecherischen Krieg beteiligt hatte. Zweitens meinte er seine Unfähigkeit zum Widerstand gegen Hitler. Es ehrt den ehemaligen Generalfeldmarschall bis zum heutigen Tage, dass er die Schuld nicht auf andere abwälzte, wie es seine Kameraden taten.

Nach seiner Aussage in Nürnberg wurde Paulus wieder in das Kriegsgefangenenlager bei Moskau zurückgebracht. Dort erklärte er schon frühzeitig, dass er in die DDR und nicht in die Bundesrepublik repatriiert werden wollte. Er hatte inzwischen die Überzeugung gewonnen, dass er am ehesten dort eine "Wiedergutmachung für Deutschland" würde leisten können. Gleichwohl ließ die Freilassung auf sich warten. Erst 1953 konnte Paulus heimkehren, das heißt, sich in der Stadt ansiedeln, welche die SED-Führung für ihn ausgesucht hatte: Dresden.

Mit seiner Darstellung des Lebens von Paulus in der DDR bis zu seinem Tode 1957 erschließt Torsten Diedrich Neuland. Wir erfahren, welche außergewöhnlichen Anstrengungen das SED-Regime unternahm, Paulus zu hofieren. Er erhielt eine Villa, einen Adjutanten, Bedienstete, ein Westauto und ein beacht liches Gehalt aus dem Etat der Kasernierten Volkspolizei. Diedrich vermutet, dass sich das Regime von dem ehemaligen hochrangigen Offizier einen Zugewinn an Legitimation erwartet habe. Ulbricht und Stoph hegten auch die Hoffnung, dass Paulus sich öffentlich gegen die westdeutsche Politik der Wiederbewaffnung und für ein geeintes und friedliches Deutschland aussprechen würde. Das tat dieser denn auch, und folgte dabei durchaus einer eigenen Überzeugung. Seine politischen Fähigkeiten blieben aber begrenzt. Der nationalkonservative Patriot geriet gleich zweimal in Diktaturen, deren Innerstes er – so das Urteil seines Biografen – nicht zu durchschauen vermochte.

– Torsten Diedrich: Paulus. Das Trauma von Stalingrad. Eine Biographie. Paderborn, Ferdinand Schöningh Verlag 2008. 579 Seiten, 39,90 Euro.


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