publiziert 08/04/2013 at 21:49 Uhr von Bernhard Schulz
Graue Eminenz des Reiches: Volker Koops Biografie über Martin Bormann, den „Sekretär des Führers“. Über den
Hitler einst kurz vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ räsoniert: „Alle haben in der restlosen Ausführung
meiner Befehle versagt – Bormann nie!“
"Alle haben versagt, Bormann nie!“ Hitler und Bormann 1944 in Rastenburg
Untereinander beargwöhnten sich Hitlers Paladine in der ständigen Furcht um Macht und Einfluss. Einen aber konnten
sie alle miteinander nicht ausstehen: Martin Bormann, den Leiter der Parteikanzlei im Range eines Ministers und
Sekretär des Führers. Bormann war die graue Eminenz des Reiches, der eine unvergleichliche Machtfülle
akkumulierte dadurch, dass er tat, was im Maßnahmenstaat ideologisch eher verpönt, andererseits gerade darum unentbehrlich war: Akten lesen, Berichte schreiben, Anweisungen herausgeben. Der
perfekte Bürokrat, ja die Personifizierung der Bürokratie.
Es verwundert kaum, dass dieser Figur, die ihre Stellung einzig und allein der niemals unterbrochenen Nähe und unbedingten Loyalität zu Hitler verdankte, bisher keine umfassende, wissenschaftliche Biografie gewidmet worden war.
Zu wenig ergiebig schien sie, selbst im Vergleich zu Funktionären wie Heinrich Himmler oder Ernst
Kaltenbrunner, zu fantasielos in eigenem politischen Wollen jenseits der schieren Ausübung von Macht. Nun hat sich der Journalist und Historiker Volker Koop der Mühe unterzogen, Bormann vor allem im Spiegel der Akten des Bundesarchivs darzustellen. Sein Buch trägt den Titel „Hitlers Vollstrecker“ und macht damit schon vor der allerersten Seite die abgeleitete Rolle Bormanns deutlich.
So sehr das auch zutrifft und so eindrucksvoll Koop diese Qualifizierung zu untermauern sucht, so steckt darin doch auch ein Fallstrick. Denn wenn einer nur Vollstrecker ist, so muss das
Wechselverhältnis zu dem eigentlichen Machthaber deutlich herausgearbeitet werden. Die jüngst sehr intensiv geführte Debatte um Hitlers „Charisma“ (Kershaw, Wehler) findet bei Koop keinen Niederschlag. Koop zeichnet Hitler als einen Mann, der sich nach Kriegsbeginn für die Zustände innerhalb des Reiches keinen Deut mehr interessierte;
das überließ er Bormann. Und lobte dessen Fähigkeiten: „Alle haben in der restlosen Ausführung meiner Befehle
versagt“, räsoniert Hitler kurz vor Beginn des „Unternehmens Barbarossa“ – „Bormann nie!“ So konnte Bormann nach
Belieben schalten und walten. Dass er das tat, steht außer Frage; aber warum es ohne das vor 1939 doch unentbehrliche Charisma des „Führers“ funktionierte, müsste begründet werden.
Schalten und walten, und zwar durch Anordnungen und Erlasse, das war Bormanns Element. Bereits 1933 wurde der
1900 bei Halberstadt geborene Sohn eines früh verstorbenen Postbeamten zu einem der 18 „Reichsleiter“ der NSDAP ernannt und gehörte damit dem innersten Führungszirkel der Partei an. Einen
bürgerlichen Beruf hatte Bormann nie ausgeübt, er bewegte sich bereits als kaum Zwanzigjähriger im
rechtsradikalen Dunstkreis von Freikorps und Fememördern. Erst 1928 stieß er zur NSDAP, machte dort aber eine steile Karriere bis zum Mitglied der Reichsleitung.
Am 12. Mai 1941 schließlich, gleich nach dem Englandflug von Rudolf Heß, dem Bormann bis dahin unterstellt war,
richtete Hitler die „Partei- Kanzlei“ ein. Der Adlatus erhielt eine ungeheure Machtposition: „Die NSDAP-Gauleiter
als wichtige politische Instanz und zudem als Reichsverteidigungskommissare waren nun Bormann unterstellt“, so
Koop. Am 12. April 1943 kam der ehrenvolle Titel „Sekretär des Führers“ hinzu, wobei Bormann schlau genug war,
gegenüber dem argwöhnischen Himmler auszuführen: „Eine neue Dienststelle mit neuen Zuständigkeiten wird damit nicht geschaffen.“
Durch solches Bürokratendeutsch muss sich hindurchlesen, wer Koops Buch in die Hand nimmt. Es ist ein bisschen viel davon; so, als müsse der Autor jeden noch so geringen eigenen Satz absichern.
Andererseits, wenn nun Bormann tatsächlich nur aus Bürokratie bestand, so ist die Lektüre dieser Art von
„Herrschaft durch Verwaltung“ (Max Weber) von eigenem Erkenntniswert. Die aufreibende Machtkonkurrenz der Parallelstrukturen des NS-Systems wird in diesem Buch nochmals anschaulich. Das
Kompetenzgewirr bot allerdings den idealen Boden für Bormann, der sich stets auf den Willen des Führers berufen
und Machtzwistigkeiten so zu seinen Gunsten entscheiden konnte. Zumal er als „Arbeitstier“ galt, wie in den Tagebüchern mehrerer NS-Granden halb bewundernd, halb erschaudernd nachzulesen ist,
konnte sich Bormann um die kleinsten Kleinigkeiten kümmern, und sei es die ordnungsgemäße Verzollung von in den
besetzten Niederlanden requiriertem Eierlikör.
Es gab im Laufe der Zeit niemanden in der NS-Hierarchie, mit dem Bormann nicht in Konflikt geraten wäre.
Dies bis in die quälendsten Details von Vermerken und Schriftwechseln zu zeigen, macht die Stärke des vorliegenden Buches aus. Bormann war, urteilt Koop, „kein Mensch, der zur Erringung der eigenen Macht und ihrer Sicherung Bündnisse schmiedete,
nach Fraktionen suchte oder Kompromisse akzeptierte. Im Gegenteil, er brüskierte potenzielle Konkurrenten, nahm keinerlei Rücksicht auf ihre Gefühle und konnte sich dieses Verhalten leisten, weil
er sich des absoluten Vertrauens Hitlers sicher war.“
Immerhin erlebte er noch während der Götterdämmerung des NS-Regimes die Verstoßung seiner Rivalen Himmler und
Göring. Das war’s denn aber auch; Bormann, der am 1. Mai 1945 nach Hitlers Selbstmord aus der Reichskanzlei flüchtete, nahm sich in der folgenden Nacht angesichts der sowjetischen
Kampftruppen nahe dem Lehrter Bahnhof das Leben. Koop urteilt über die Person: „Letztlich war Bormann ein zwar
mächtiger, aber einsamer Mann.“
– Volker Koop: Martin Bormann. Der Vollstrecker. Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2012. 384 Seiten, 29,90 Euro.