publiziert 09/03/2012 at 10:55 Uhr von Georg Etscheit
Die "Stadt der Bewegung" tut sich seit je schwer mit ihrer braunen Geschichte. Doch nun wird am 9. März endlich der Grundstein für das lang geplante NS-Dokumentationszentrum gelegt.
Diese Aufnahme von Adolf Hitler und anderen Nationalsozialisten entstand um 1935 im "Braunen Haus" in München
– der Parteizentrale der NSDAP.
Jedes Jahr am 9. November brennt Wolfram Kastner mit einem Gasbrenner ein kreisrundes Loch in den gepflegten Rasen des Münchner Königsplatzes. Damit will er an den Scheiterhaufen vom 10. Mai 1933
erinnern, als Studenten der Münchner Universitäten die »volkszersetzenden« Bücher und Zeitschriften verfemter Schriftsteller und Journalisten verbrannten. Doch die Aktion soll mehr sein als ein
bloßes Memento. Der Münchner Künstler will auch ganz buchstäblich verhindern, dass Gras über die NS-Zeit wächst in der einstigen »Hauptstadt der Bewegung«, die sich bis heute schwer damit tut,
sich ihrer Geschichte als Brutstätte der Naziideologie und Gründungsort der NSDAP offen zu stellen.
Erst jetzt, fast siebzig Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur, macht München ernst mit Aufklärung und Erinnerung. Unweit des Königsplatzes gähnt schon ein Loch: Hier, an der Brienner Straße, auf
dem früheren Gelände des »Braunen Hauses«, des Sitzes der NSDAP-Reichsleitung, entsteht bis 2014 das lange geplante »Dokumentations- und Informationszentrum über die NS-Zeit«; am 9. März wird
feierlich der Grundstein gelegt. Ein Lernort, kein klassisches Museum soll der weiße Kubus werden. Warum München? Wie konnte es dazu kommen? Was geht mich das an? Auf diese drei Leitfragen sollen
die Besucher Antworten erhalten. Auch die Geschichte des Dokumentationszentrums selbst soll Thema sein.
In der Stadt, die Hitler liebte wie keine andere – ehemalige NS-Prunkbauten wie das Haus der Kunst verraten es –,
gibt es nur spärliche Hinweise auf jene Zeit. Man wolle München nicht mit Erinnerungstafeln zupflastern, sagt Kulturreferent Hans-Georg Küppers und verweist auf das stadtgeschichtliche
Internetprojekt »Memory Loops«, das 300 »Tonspuren« (Zeitzeugenberichte und andere eingelesene Dokumente) mit einem Online-Stadtplan verknüpft. Die Seite werde häufig angeklickt, berichtet
Küppers.
Wie schwer es München fiel, seine Bedeutung für Hitlers Aufstieg anzuerkennen, weiß niemand besser als Klaus
Bäumler. Seit Jahrzehnten engagiert sich der frühere Verwaltungsrichter und langjährige Vorsitzende des Bezirksausschusses Maxvorstadt, eines Stadtteilparlamentes, zusammen mit dem
Architekturprofessor Wilfried Nerdinger dafür, dass die Erinnerung an die NS-Jahre wachgehalten wird. »Alles original aus der Zeit«, sagt Bäumler bei einer Tasse Kaffee in der Cafeteria der
Musikhochschule und deutet auf die Holzvertäfelung des Raumes.
Eigentlich ist »Unbefugten« der Zutritt zur Hochschule verboten, doch immer wieder verirren sich Touristen hierher auf der Suche nach Überresten der Nazidiktatur. Wer sich über die Geschichte des
Hauses, das einmal »Führerbau« hieß und ein Repräsentationsgebäude des Regimes war, informieren will, muss indes lange suchen. An einem der Treppenaufgänge, über den Hitler und Mussolini 1938 zur Unterzeichnung des Münchner Abkommens schritten, entdeckt man schließlich ein paar Zeilen.
Sie sind das Überbleibsel einer von Wolfram Kastner organisierten Kunstaktion über das Schicksal jüdischer Komponisten aus München. Der Saal, in dem das verhängnisvolle Abkommen unterzeichnet
wurde, mit dem England und Frankreich Hitler die Tschechoslowakei de facto zur freien Verfügung überließen, ist
für Besuchergruppen nur nach telefonischer Anmeldung zugänglich.
Vorangetrieben von lokalen Initiativen, habe die Dokumentation von »Täterorten« bereits Anfang der achtziger Jahre begonnen, sagt Klaus Bäumler. Doch die Bemühungen stießen auf wenig Gegenliebe.
1984 etwa forderte der Bezirksausschuss Maxvorstadt, am Ort des früheren Wittelsbacher Palais wenigstens eine Gedenktafel anzubringen, denn hier befand sich Münchens Gestapo-Hauptquartier, in dessen Gefängnis unter anderem die Geschwister Scholl einsaßen. Mehr als drei Jahre hat es gedauert,
bis sich die Bayerische Landesbank, Eigentümerin des Grundstücks, zu dieser kleinen Geste bereit erklärte.
Auch an Georg Elser wollte man in München lange Zeit lieber nicht erinnern. Bäumler hat in einer Tabelle aufgelistet, welcher Schritte es bedurfte, um den »Widerstand gegen den Widerstand« zu
überwinden und eine Ausbuchtung der Türkenstraße nach dem Widerstandskämpfer zu benennen – dort, wo sich die Wohnung befand, in der er sein Attentat auf Hitler vorbereitete. 2009 wurde hier, gegen den Protest einiger Anwohner, eine eher unscheinbare Wandskulptur im Stil der
Minimal Art installiert. Sie leuchtet jeden Abend einmal kurz auf und erinnert so an jene Minute des 8. November 1939, als im Bürgerbräukeller Elsers Bombe hochging, die Hitler um ein Haar getötet hätte.
Seite 2/2 : Keine "Reliquien", keine "Auratisierung"
Auch das neue Zentrum geht auf eine Initiative von unten zurück. Bereits 1996 hatte der Bezirksausschuss Maxvorstadt vorgeschlagen, ein Haus nach dem Vorbild der Berliner Topographie des Terrors
zu schaffen. Doch erst 2009 einigten sich Stadt, Land und Bund, die voraussichtlichen Baukosten in Höhe von 30 Millionen Euro zu je einem Drittel zu tragen; der Freistaat brachte überdies das
Grundstück ein.
Vor einigen Wochen geriet das Projekt dann wegen personeller Querelen in die Schlagzeilen. Noch auf der Zielgeraden wurde die Gründungsdirektorin des Zentrums, die Historikerin Irmtrud Wojak, von
ihrer Aufgabe entbunden – nach Streitigkeiten über die Gestaltung der Ausstellung. Was dazu führte, dass das Projekt ausgerechnet im Moment seiner Realisierung ohne Leitung ist.
Seit Kurzem nun gibt es zumindest ein neues Konzept für die künftige Dauerausstellung. Entwickelt hat es eine Gruppe um den Architekten Wilfried Nerdinger und den Historiker Peter Longerich. Auf
drei Stockwerken sollen die Ursprünge und der Aufstieg der NS-Bewegung geschildert, die Funktionsweisen der »Volksgemeinschaft« als »Ausgrenzungsgesellschaft« analysiert sowie die Kriegsjahre in
München dargestellt werden.
Der letzte Teil ist der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit gewidmet. Hier wird, wenn das Zentrum im Frühjahr 2014 öffnet, unter anderem an die Olympischen Spiele von 1972 erinnert: als eine
ersehnte »Schlussstrich-Veranstaltung«. Die »heiteren Spiele« – jäh unterbrochen durch den mörderischen Überfall palästinensischer Terroristen auf die israelische Mannschaft – sollten dazu
beitragen, die braune Vergangenheit endlich hinter sich zu lassen und an die glorreichen Zeiten vor dem Ersten Weltkrieg anzuknüpfen, als »die schöne, behagliche Stadt die besten Köpfe des
Reiches« angezogen hatte, wie Lion Feuchtwanger 1930 in seinem Roman Erfolg schreibt.
Doch spätestens 1980, mit dem Sprengstoffattentat auf das Oktoberfest, kehrte der braune Albtraum zurück. Bei dem Terroranschlag, verübt von dem Neonazi Gundolf Köhler, starben 13 Menschen. Bis
heute sind die Umstände ungeklärt, und erst kürzlich, nach Aufdeckung der Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds (in München hat die Bande zwei Menschen erschossen), forderte der
Stadtrat die Wiederaufnahme der seinerzeit nur halbherzig geführten Ermittlungen.
Die ständige Ausstellung soll vor allem mit Texttafeln, Fotos und Filmen arbeiten. Keine »Reliquien«, keine »Auratisierung«, lautet die strikte Vorgabe. München will keinen »Hitler-Tourismus«, wie es ihn auf dem Obersalzberg bei Berchtesgaden gibt, wo selbst das 1999 vom Münchner Institut für
Zeitgeschichte eingerichtete Dokuzentrum sich kaum jener »NS-Experten« erwehren kann, die in eher bewundernder Haltung über das Gelände streunen, auf dem einst Hitlers Berghof stand.
Aber warum nun eigentlich München? Warum begann just in dieser Stadt Hitlers Karriere? »Hier war Hitler in den zwanziger Jahren der King«, sagt Peter Longerich, der jüngst in zwei Biografien die
Psyche von Goebbels und Himmler zu ergründen versuchte. Anders als in Wien, wo Hitler als Kunstmaler gescheitert war, anders auch als im riesigen Berlin konnte der Kriegsheimkehrer und Spitzel im
Dienst der Bayerischen Reichswehr in der überschaubaren Stadt sein anmaßendes Ego entfalten. Getragen wurde er von einer nationalistischen, antisemitischen Grundstimmung, die in der »braunen
Boheme« aus Georgianern, völkischen Philosophen und allerhand schwärmerischen Mystagogen ihren Resonanzboden fand. Hitler lernte in München aber auch, dass er, um die Macht zu erlangen, die bürgerlichen und adeligen Eliten brauchte. Und
die öffneten dem talentierten Demagogen hier nur zu gern die Türen.